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Der Liefer­anten­flüsterer

Vom Saulus zum Paulus – welche Missstände Antonio Veloso bei Lieferanten der Telekom aufdeckt und wie er sie löst.

G enau 12 Sekunden Zeit hatten wir für einen Arbeits­zyklus“, er­innert sich ein Stu­dent. Er musste sich voll auf die Arbeits­schrit­te kon­zentrieren, sonst schaffte er sie in der kurzen Zeit nicht. Stun­de für Stun­de. Mit gerade ein­mal 30 Minuten Pause. 60 Stun­den die Woche – und mehr. Strauchel­te er, hielt das Band an, die kom­plet­te Pro­duk­tion stand still und es gab Gehalts­abzug. Und den meis­ten reicht nicht ein­mal das volle Ge­halt zur Finanz­ier­ung der Grund­bedürf­nisse.

CEOs sollen ihre Mit­arbeiter nicht mehr als Nummer im Unter­nehmen be­trachten, sondern als Menschen wert­schätzen

Einem Mitarbeiter ist das zu oft passiert. Er wurde deswegen nach der Arbeit von drei Mitarbeitern brutal verprügelt. Sie wurden aggressiv, weil sie für seine Konzentrationsprobleme ebenfalls Gehaltskürzungen hinnehmen mussten. Was dann passierte, machte weltweit Schlagzeilen: Der Mitarbeiter nahm sich vor Verzweiflung das Leben. 

8 Gute Arbeitsplätze & wachsende Wirtschaft

Dauerhaftes, inklusives und nach­haltiges Wirt­schafts­wachstum, produktive Voll­beschäftigung und menschen­würdige Arbeit für alle fördern - das ist das achte Nach­haltigkeits-Ziel der Vereinten Nationen.

Unser Beitrag

Das Supplier Development Program ist eine echte Win-win-Situation: Es schafft bessere Arbeitsbedingungen bei Zulieferbetrieben, wodurch Bindung und Motivation der Mitarbeiter verbessert werden, was wiederum die Qualität der Produkte und die Produktivität steigert.

Spätestens seit der Selbstmordskandalserie bei Foxconn ist klar: Eine humane Katastrophe wie diese ist völlig inakzeptabel, aber leider keine Ausnahme – vor allem in Entwicklungs- und Niedriglohnländern. Ausreichende Sicherheit bei der Arbeit, angemessene Arbeitszeiten und eine faire Belohnung werden hier in aller Regel nicht per se großgeschrieben. Auch die Telekom kauft Produkte und Zubehör in Asien ein und legt großen Wert darauf, Arbeitsbedingungen und Umweltschutz bei den Lieferanten zu verbessern. Doch wie verwandelt man einen Saulus in einen Paulus? Durch gutes Zureden? 

Herr Veloso hatte eine bessere Idee. Er hat für die Telekom ein Programm entwickelt, das es tatsächlich geschafft hat, gute Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern zu fördern. Dieses „Supplier Development Program“ kostet die Telekom zwar viel Geld. Jedoch ist es so erfolgreich, dass es nun sogar zum Industriestandard überführt wird, und zwar von der GeSI, der Global e-Sustainability Initiative. Führende ICT-Unternehmen steigen ein und machen mit. „Es gibt kein vergleichbares Programm“, so Veloso.

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Fragen an...

Antonio Veloso

Frage 1 von 4

  • Was ist das Geheimnis hinter dem Erfolg des Programms?

    Ich glaube, das Geheimnis liegt darin, dass wir auf unsere Lieferanten als strategische Partner zugehen und nicht mit „Zuckerbrot und Peitsche“. Dahinter steckt die Idee, dass wir nicht viel davon halten, einen guten Umgang mit unseren Lieferanten zu erzwingen. Das wäre anmaßend und nicht nachhaltig. Zudem auch nur ein Kratzen an der Oberfläche. Vielmehr ist unsere Strategie, die Haltung der Zulieferer zu Nachhaltigkeitsthemen langfristig zu verändern. Wir wollen sie von innen heraus, aus eigener Motivation dazu bewegen, das Thema Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung als festen Bestandteil der Firmenkultur und deren DNA zu etablieren.

  • Sie sagen, Sie wollen an die DNA der Unternehmen. Was meinen Sie damit?

    Nehmen wir das Beispiel „Wie viel Gehalt bekommt ein Mitarbeiter?“: Wichtig ist uns, dass wir nicht zu den Lieferanten gehen und ihnen Vorschriften machen, mehr Gehalt zu zahlen. Vielleicht würde das kurzfristig sogar funktionieren, aber das wäre sicher nicht nachhaltig. Stattdessen wollen wir die Manager überzeugen, dass sie selbst davon profitieren, wenn sie ihre Mitarbeiter gut bezahlen und behandeln. Wir vermitteln strategisches Wissen, das unseren Lieferanten hilft, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: ihre Umsätze zu steigern und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Beides schließt sich nämlich nicht gegenseitig aus, sondern bedingt sich sogar. Denn wenn Mitarbeiter ein faires Gehalt bekommen, genügend Pausen und sogar ein Mitspracherecht im Unternehmen haben, fühlen sie sich ganz anders wertgeschätzt. Das wiederum führt zu einer völlig anderen Firmenkultur. Die Unternehmen müssen hier zwar erst mal in finanzielle Vorleistung gehen, doch langfristig zahlt sich das aus. Das haben bereits mehrere Pilotprojekte bewiesen. Wichtig ist uns in dem Prozess, nicht als „großer Lehrmeister“ daherzukommen, sondern einen Dialog auf Augenhöhe zu kultivieren.

  • Wie haben Sie es geschafft, die Arbeitszeiten zu senken?

    Es gibt viele Wege, Arbeitszeiten effektiv zu reduzieren und ich möchte das gerne anhand eines Beispielfalls eines Lieferanten erläutern. Dieser Lieferant hat die Arbeitszeiten von 66 Stunden (was die gesetzlichen Rahmenbedingungen und EICC-Vorgaben weit überschreitet) auf etwa 44 Stunden gesenkt, Schritt für Schritt über zwei Jahre hinweg. Das wurde zunächst durch eine Mischung aus „Top-down“- und „Bottom-up“-Ansatz erreicht, indem Verbesserungen für die Firmen identifiziert wurden, sowohl, was die Arbeitsprozesse betraf, als auch die Schlafgelegenheiten und Kantine (z. B. Verbesserungen sowohl der Arbeitsbedingungen als auch der äußeren Umstände).

    Der „Bottom-up“-Part bestand darin, die Fabrikarbeiter in Teams zu organisieren, die Verbesserungsmöglichkeiten identifizieren sollten. Zuvor wurden diese Teams in Grundlagenwissen über Lean Production geschult. Darauf basierend wurden regelmäßige Wettkämpfe für die erfolgreichsten Optimierungen ausgetragen und die Gewinner mit Auszeichnungen belohnt.

    Der „Top-down“-Part bestand darin, dass Managementexperten und Wirtschaftsingenieure Einblick in die Prozesse gewannen und auf dieser Grundlage Vorschläge entwickelten, wie die Arbeitsabläufe effektiver gestaltet werden können. Die Verbesserungsvorschläge wurden dann vom Management auf ihre Machbarkeit hin geprüft und entsprechend umgesetzt. Das hat zu einer Steigerung der Effizienz in der Fabrik in Höhe von etwa 30 % geführt über zwei Jahre hinweg. Das haben wir dann mit deutlich höheren Löhnen kombiniert, sodass sich die geringeren Arbeitszeiten nicht negativ auf die Löhne auswirkten. Somit hat Fingu sowohl die Arbeitszeiten reduziert als auch den Abgang von Arbeitskräften reduziert. Die Mitarbeiter waren glücklicher und zufriedener und hatten deutlich mehr Zeit neben der Arbeit, ohne auf Geld verzichten zu müssen.

  • Verraten Sie uns ein einschneidendes Erlebnis bei den Lieferantenkontrollen?

    Das obige Beispiel war ein gutes Beispiel für eine positive Erfahrung bei der Zusammenarbeit mit Lieferanten. Hier noch eines:

    Ein weiterer Lieferant hatte extreme Arbeitszeiten von im Schnitt 88 Überstunden im Monat. Und häufig fielen gesetzlich vorgeschriebene Pause-Tage aus nach den EICC- und ILO-Standards. Der Lieferant hieß unser Programm sehr willkommen und hat einen aggressiven Verbesserungsplan in Sachen Corporate Social Responsibility entwickelt. Er hat das obere Management im Bereich CSR geschult und hat es geschafft, signifikante wirtschaftliche Einsparungen durch geringere Mitarbeiterfluktuation und eine Abnahme an Qualitätsproblemen zu erzielen.

    Nachdem die monatlichen Überstunden von durchschnittlich 88 auf 69 gesenkt wurden, schwand die Mitarbeiterfluktuation von 12 auf 5 % und der Prozentsatz der Arbeiter, die nach dem Chinesischen Neujahr zurückkamen, stieg von 80 auf 90 %, was den weiteren Benefit hatte, dass die Kosten für das Mitarbeiterrecruiting deutlich zurückgingen. Zudem führten die Maßnahmen zu ökologischen Vorteilen, zum Beispiel durch bessere Recyclingprozesse, die wiederum zu einem besseren Materialmanagement geführt haben, was auch wiederum zu deutlichen Kosteneinsparungen geführt hat.

    Alles in allem war der Lieferant in der Lage, seine CSR-Leistungen, die Stärken und Schwächen holistisch zu betrachten und einen Verbesserungsplan zusammenzustellen, der nicht nur soziale und ökologische Verbesserungen erwirkt hat, sondern auch wirtschaftliche Vorteile für die Lieferanten selbst. Am Ende war der Lieferant ziemlich glücklich und extrem dankbar der Telekom gegenüber für die Möglichkeit zur Teilnahme am Supplier Development Program.

Bessere Arbeitsbedingungen einfach zu oktroyieren war für ihn nie ein nachhaltiger Weg. „Wir wollen an die DNA der Firmen“, sagt Veloso. „Wir wollen einen Dialog auf Augenhöhe. Wir wollen die CEOs überzeugen, dass sie selbst davon profitieren, wenn sie ihre Mitarbeiter gut behandeln, sie nicht mehr als Nummer im Unternehmen betrachten, sondern als Menschen wertschätzen.“ Ein hehres Ziel. Das Geheimnis hinter dem Erfolg lüftet Veloso im Interview.

Wir wollen an die DNA der Firmen. Wir wollen einen Dialog auf Augen­höhe.

Mit dem „Supplier Development Program“ leisten wir einen maßgeblichen Beitrag, menschenwürdige Arbeit zu fördern und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu ermöglichen – dem achten nachhaltigen Entwicklungsziel der Vereinten Nationen.