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Die Geschichte der Demokratie

Eine
Mords-Geschichte

Alles begann mit blutigen Auseinandersetzungen um Macht und Vorherrschaft. Und eigentlich wäre die Demokratie schon vor langer Zeit ausgestorben. Wäre da nicht...

  • Am Anfang war ein blut­rünstiger Mord. Zumindest die Athener im 5. Jahr­hun­dert vor Christus sahen im Mord des Tyrannen Hipparchos 514 v. Chr. den entscheidenden Wendepunkt zur Demo­kratie. Sie feierten die Mörder als Befreier und stellten ihnen zu Ehren ein Denkmal im Zentrum von Athen auf. Welchen Einfluss der Mord auf die Ent­wick­lung der Athener Demokratie tatsächlich hatte, lässt sich heute nicht mehr feststellen. In Wirklichkeit hat sich die Demokratie sehr langsam entwickelt.

    Die Herrschaft des Volkes in Athen beruhte auf der Beteiligung aller männlichen Bürger, ob reich oder arm. Frauen, Sklaven und Fremde waren jedoch aus­geschlossen. Fast 200 Jahre hielt die Demokratie. Dann fielen die Makedonier in Athen ein und nahm­en den Athenern die Bürgerrechte. Das wäre fast das Ende der Demokratie gewesen, wäre da nicht ...
  • Unruhen

    594/593 v. Chr. – Die Kluft zwischen Arm und Reich ist sehr groß. Es kommt zu Unruhen. Der athenische Staatsmann und Lyriker Solon wird in das höchste Amt gewählt. Er soll die innere Ruhe wiederherstellen. Er befreit die Armen von ihren Schulden und damit aus der Knechtschaft der Adeligen. Alle freien (männlichen) Bürger dürfen an der Volks­ver­sammlung teilnehmen und wählen. Als Gegengewicht zur reinen Adelsvertretung richtet Solon den Rat der 400 und ein Volksgericht ein. Die Rechte der Bürger, zum Beispiel ein politisches Amt übernehmen zu können, sind jedoch an die Zugehörigkeit zu den vier Vermögensklassen gekoppelt. Damit behält der Adel weitgehende Einfluss­möglichkeiten. Solon verfasst Gesetze für viele Lebensbereiche und lässt diese aufschreiben.

  • Unterdrückung

    546/545 v. Chr. – Eine neue Periode der Tyrannenherrschaft unter Peisistratos bricht an. 514 v. Chr. wird sein Sohn Hipparchos während eines Festzuges ermordet. Sein Bruder Hippias verschärfte danach seine Herrschaft und wird 510 v. Chr. gezwungen ins Exil zu gehen.

  • Reformen

    508/507 v. Chr. – Mit seinen Ideen für grundlegende Reformen kann Kleisthenes viele Athen­er für sich gewinnen und wird von ihnen bevollmächtigt, diese Reformen umzusetzen. Er führt eine Neuorganisation durch, ermöglicht so den Bürgern mehr politische Mitsprache und schwächt den Einfluss des Adels. Er gründet den Rat der 500, der das mächtigste politische Amt darstellt. Die jährliche Rotation der Mitglieder stellt eine möglichst hohe Beteiligung von Bürgern aus allen Regionen sicher. Die höchsten Staatsämter bleiben der obersten Gesell­schafts­schicht vorbehalten. Um die Demokratie zu sichern, können jedoch per Volks­abstimmung einzelne Bürger verbannt werden. So soll eine neue Tyrannei verhindern werden.

  • Weiterentwicklung

    462 v. Chr. – Der Areopag (Adelsrat), der vor allem für die Gerichtsbarkeit zuständig ist, wird entmachtet und seine Kompetenzen auf den Rat der 500 und die Volksgerichte verteilt. Die Weiterentwicklung der Demokratie ist für die nächsten dreißig Jahre vor allem mit Perikles verbunden. Als hervorragender Redner wird er über viele Jahre in entscheidende Funktionen gewählt. Er führt Tagegelder für die Teilnahme an der Volksversammlung und Bezahlung für die Übernahme von Ämtern im Rat oder den Gerichten ein. Diese dienen als Ausgleich für den Verdienstausfall und ermöglichen damit auch ärmeren Bürgern, ein Amt zu übernehmen.

Beinahe wäre das Ende der Demokratie besiegelt gewesen. Wäre da nicht...

  • ... Aristoteles gewesen. Nicht, dass er ein Verfechter der Demokratie gewesen wäre, aber er hielt sie in seinen Schriften fest. So ruhte die Idee der Demokratie, während 1900 Jahre lang Kaiser, Könige und Feudalherren herrschten. In der Neuzeit wurde die Demokratie wiederentdeckt. Die Philosophen waren sich jedoch alles andere als einig. Jean-Jacques Rousseau war zum Beispiel Verfechter einer direkten Demokratie, wie in Athen. John Locke und Charles Secondat de Montesquieu gehörten zu den geistigen Vätern von Gewaltenteilung und repräsentativer Demokratie.

Der große Durchbruch in England

  • Ein großer Schritt auf dem Weg zur Demokratie gelang 1689 den Bürgern Englands, die dem König die „Bill of Rights“ abrangen. Darin wurden Rechte des Parlaments gegenüber dem König festgelegt und zum ersten Mal unveräußerliche Bürgerrechte benannt. Der Funke sprang auch in andere Länder über, zum Beispiel nach Frankreich und Deutschland und äußerte sich in den Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts. Prägend waren die Ent­wick­lungen in England auch für die Demo­kratie­ent­wicklung in den USA. Etwa 100 Jahre nach der Ver­abschiedung der „Bill of Rights“ wurde mit der Gründung der Ver­einigten Staaten von Amerika die erste re­präsen­ta­tive, gewalten­teilige Demo­kratie geboren.

    Das all­ge­mei­ne Wahlrecht für Männer wurde in Ländern wie den USA, Frankreich oder der Schweiz Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt. Sehr viel länger dauerte es, bis auch Frauen das Wahlrecht erhielten. Wirklich durch­setzen konnte sich die Demokratie aber erst nach dem zweiten Weltkrieg, also erst 2500 Jahre nach ihrer ur­sprüng­lichen Erfindung und Geburt in Athen.

Wie das Internet die
Demokratie verändert

  • In modernen Demokratien wählen wir Repräsent­anten, die in unserem Auftrag regieren und über Gesetze beraten und abstimmen (Repräsent­ative Demo­kratie). Mit dem Einzug der digitalen Demo­kratie im Informations­zeitalter könnte sich der Kreis wieder zur direkten Demokratie schließen. Denn das Netz bietet neue Möglichkeiten, die Demokratie weiter­zu­entwickeln und mitzugestalten.

    Das Konzept der “Liquid Democracy” etwa schlägt vor, dass du wahlweise über Gesetze direkt online abstimmst, oder dass du deine Stimme einem von dir gewählten Vertreter leihst – zum Beispiel einem Politiker deines Vertrauens oder einem Freund. Dabei kannst du jederzeit frei wählen, wann du selbst abstimmst und wann du deine Stimme welchem Vertreter gibst. Ob ein solches Konzept praxistauglich ist, muss in Frage gestellt werden. Aber solche Überlegungen zeigen, das Netz könnte mehr Mitbestimmung ermöglichen und uns der direkten Demokratie wieder näherbringen: wie sich damals die Athener auf den Hügeln vor Athen versammelten, um über Gesetze zu entscheiden, versammeln wir uns im Netz – nur virtuell. Voraussetzung wäre, dass eine breite Öffentlichkeit sich aktiv an politischen Entscheidungen beteiligt. Doch digitale Demokratie bedeutet noch viel mehr. Mehr dazu im Beitrag Demokratie reloaded.